Business-Knigge Lateinamerika: Small Talk, Fußball und ganz viel Zeit

[dropcap]S[/dropcap]echs Jahre Spanischunterricht und ein Auslandssemester legen den Grundstein für Svens interkulturelle Kompetenzen für Lateinamerika. So dachte er jedenfalls, als er für sechs Monate nach Peru auf einen Auslandseinsatz geschickt wurde.

Zunächst schien alles glatt zu laufen, alle Mitarbeiter schienen freundlich und das ihm anvertraute Projekt ist auch gut angelaufen. Den ersten Meilenstein, eine umfangreiche Projektanalyse, sollte er bereits nach acht Wochen erreichen und Diego, dem er diese Aufgabe anvertraute, schien auch sehr zuverlässig zu sein.

Zwei Wochen vor der Deadline fragte Sven bei Diego an und fragte ihn nach dem aktuellen Sachstand. „Alles bestens!“, hieß es da nur. Svens Chef erkundigte sich eine Woche vor der Deadline und wollte wissen, wie das Projekt laufe und ob alles funktioniere, da die Projektanalyse ja auch in Deutschland präsentiert werden sollte.

Grund genug, um Diego mal auf die Finger zu schauen und ihn anzurufen. „Hallo Diego, kannst du mir deine bisherigen Ergebnisse für die Projektanalyse per E-Mail zukommen lassen?“ „Hola Sven, wie geht es dir? Wie war dein Wochenende?

Es war ja so heiß gestern“, antwortete Diego. „Diego, ich habe wirklich keine Zeit für Small Talk. Ich brauche die Ergebnisse dringend.“ Der etwas verärgerte Diego antwortete nur: „Alles läuft bestens. Mache dir keine Sorgen. Ich hoffe, dir geht es gut.“ Das war zum Mäusemelken.

Sven schien keine genauen Angaben aus Diego herauszubekommen und deshalb entschied er sich dazu, ihm einen Besuch in seinem Büro abzustatten. Zu Svens Ärgernis hatte Diego nur die Informationen gesammelt und sortiert, von der Analyse war weit und breit nichts zu sehen.

Im Nachfolgenden werden die häufigsten kulturellen Unterschiede zwischen Deutschland und Lateinamerika erklärt, um solche Missverständnisse möglichst früh zu vermeiden.

1Aufgabenstellung und Geschäftsbeziehungen

Während man im deutschsprachigen Raum gerne schnell „zur Sache kommt“, lässt man sich in Lateinamerika gerne etwas mehr Zeit. Dies hat nichts mit Faulheit zu tun, sondern damit, dass man in Lateinamerika zunächst eine Beziehung aufbauen muss, um das Projekt zu starten.

Im deutschsprachigen Kulturkreis wird auf das Ergebnis eines Projekts hingearbeitet. Es kann gut sein, dass man mit anderen Mitarbeitern eine freundschaftliche Beziehung aufbaut, allerdings steht das Projekt an erster Stelle. Sven hätte etwas Zeit in die Beziehung zu Diego stecken sollen. Eine kurze Aufwärmphase ist notwendig, um eine gute zwischenmenschliche Beziehung aufzubauen, denn eine gute Beziehung führt zu einem guten Arbeitsprozess.

2Begrüßung und Small Talk

Zur Begrüßung gibt man sich die Hand und hält dabei Augenkontakt. Männer sollten darauf achten, dass die Frau zuerst die Hand ausstreckt. Frauen, die sich besser kennen, küssen sich zwei bis drei Mal auf die Wange. Für die Begrüßung, Kennenlernphase sowie jedes neue Treffen nimmt man sich viel Zeit und macht Small Talk.

Beliebte Small-Talk-Themen sind die Familie, das Wetter, Sport, insbesondere Fußball, oder auch Karneval in Brasilien. Gespräche über Kriege oder Politik sollten vermieden werden. Außerdem ist es sehr wichtig, die indigene Bevölkerung in Südamerika nicht als Indios zu bezeichnen.

3Pünktlichkeit

Pünktlichkeit wird von Ihnen im Geschäftsleben erwartet. Seien Sie aber nicht sauer, wenn Ihr Geschäftspartner sie mal warten lässt.

4Verhandlungen

Wer in Lateinamerika Geschäftsverträge verhandelt, muss viel Geduld mitbringen. Wer Verhandlungen sehr schnell hinter sich bringen möchte, erweckt schnell den Eindruck, etwas verstecken zu wollen. Bevor es jedoch überhaupt zu einer Verhandlung kommt, muss man sich erst gegenseitig kennenlernen und dies geht natürlich am besten mit Small Talk.

Das deutsche „Nein“ wirkt in Südamerika sehr ablehnend und dominant und deshalb sollte es möglichst vermieden werden, besonders während Verhandlungen. Passt Ihnen etwas nicht, so sollten Sie über die Vorzüge Ihrer Idee sprechen, die anderen Vorschläge aber nicht belächeln oder kritisieren.

Marlene Schimanski ist die Gründerin und Chefredakteurin von Auslandskarriere. Sie lebte bereits in fünf verschiedenen Ländern (Portugal, Island, Österreich, Irland und Australien) und ist 2013 nach Australien ausgewandert. Sie hat bei PwC und KPMG im Global Mobility gearbeitet, bevor sie sich als Englisch-Übersetzerin und Karrierecoach selbstständig machte. Sie hat einen Masterabschluss in International Business Administration.